Babyboomer, Gen X, Y, Z und Alpha: Gibt es diese Generationen wirklich? Oder ist das nur eine gewinnbringende Erfindung von Unternehmensberater_innen?
Auf den ersten Blick erscheint das Konzept der Generationentypologie (Babyboomer, X, Z, Y, Alpha) einleuchtend. Die Prägung eines Menschen erfolgt insbesondere in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter durch das gemeinsame Erleben gesellschaftlicher und weltpolitischer Ereignisse. In der Familie erleben Kinder und Jugendliche vorherrschende Erziehungsstile, Familienkonstellationen und Wertvorstellungen. Auch die jeweils spezifischen Arbeitsmarktbedingungen (z.B. Wirtschaftswunder, Finanzkrise, Fachkräftemangel) und medialen Möglichkeiten prägen bestimmte Alterskohorten.
Die Typologie X, Y, Z, Alpha scheint sich mittlerweile auch gegenüber anderen Etikettierungen wie Generation ‚Golf‘, ‚Praktikum‘ oder ‚Facebook‘ durchgesetzt zu haben und hat sich in vielen Unternehmensbereichen wie dem Personalmanagement, dem Marketing und auch im Diversity Management etabliert. Die Popularisierung des Begriffs Generation X und der damit verbundenen Inhalte geht auf den 1991 erschienenen Roman ‚Generation X‘ des kanadischen Schriftstellers und Künstlers Douglas Coupland zurück. Der Begriff Generation Y tauchte erstmals im Jahr 1993 in der Marketingzeitschrift Advertising Age auf. Auch wenn der Begriff ‚Generation‘ ein soziologischer Grundbegriff ist, basieren nicht alle Beschreibungen dazu auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Ganz im Gegenteil: Die Annahme, dass es überhaupt Generationskohorten mit jeweils spezifischen Wertvorstellungen und Verhaltensweisen gibt, ist in der Wissenschaft umstritten.
Die grundlegende Kritik an der weit verbreiteten Typologie lautet wie folgt:
- Es gibt keine wissenschaftliche empirische Absicherung der Generationentypologie. Es herrscht zwar Gewissheit über die gesellschaftliche Entwicklung, über die Bedeutung von Sozialisationserfahrungen, über den fortschreitenden Wertewandel – aber eben nicht darüber, dass sich daraus bestimmte Gruppen (Kohorten) auf der Basis von Geburtsjahrgängen mit durchgängig ähnlichen beruflichen Orientierungen, Wertvorstellungen und Lebensentwürfen ableiten lassen. Dies zeigen beispielsweise die empirischen Studien von Martin Schröder (Der Generationenmythos, 2018) oder Tom Hensel (Generation Y – Mythos und Realität, 2023).
- Empirische Studien, die die Existenz von Generationen belegen, sind häufig nicht im Längsschnitt angelegt und untersuchen somit jeweils nur eine Kohorte. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass der jeweils festgestellte Werte- und Orientierungswandel nicht auch andere Generationen betrifft.
- Auch die Generationentypologie ist nicht unumstritten. Die Beschreibungen der Generationentypen sind teilweise widersprüchlich. Wie Martin Schröder schreibt, gilt die Generation Y mal als karriereorientiert, mal sei ihr die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besonders wichtig und mal habe sie gar kein Interesse daran Karriere zu machen. Zudem bleiben die Generationenbeschreibungen oft sehr allgemein oder gar nebulös, wie Formulierungen wie ‚Maximierung der Erlebnisse‘ zeigen.
- Eine Übergeneralisierung der Generationentypologie kann Altersstereotype und Altersdiskriminierung verstärken, denn die jeweiligen Generationenlabels eignen sich hervorragend dazu, bestimmten Personen Eigenschaften zuzuschreiben und sie auf diese zu reduzieren: ‚Du Boomer!‘. Dies führt dann eben gerade nicht dazu, tatsächlich bestehende Unterschiede zwischen Personen zu überbrücken und Konflikte zu lösen.
- Last but not least: Bei einer zu starken Fokussierung auf Generationen gerät – wie bei allen anderen Diversitätsdimensionen auch – die Intersektionalität sehr leicht aus dem Blick. Wir wissen, dass Aspekte wie Lebensphasen, Elternschaft, soziale Schicht, geschlechtliche Identität, sexuelle Orientierung, Weltanschauung und viele mehr eine ebenso große Rolle für den Alltag und die Erwartungen spielen, die Mitarbeitende heute an ihren Arbeitsplatz stellen.
Gerade vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Vielfalt wird deutlich, dass das Generationenkonzept mit Vorsicht zu behandeln ist. Auch die Einsicht, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, also gar nicht alle Menschen dieselben gesellschaftlichen Ereignisse so miterlebt haben können, zeigt dessen Begrenztheit.
Können wir das Wissen und die Methoden aus dem Generationenmanagement trotzdem nutzen?
Wichtig ist, sich der Probleme und Gefahren von Generationenlabels bewusst zu sein und sie im konkreten Handeln in den Unternehmen kritisch zu nutzen. Die Generationentypen sind in der Welt und werden von allen dankbar genutzt, nämlich um wahrgenommene Unterschiede zwischen den Generationen zu klassifizieren. Die Generationenlabel dürfen also ein Ausgangspunkt dafür sein, die eigene Perspektive und auch die eigenen Stereotype gegenüber jüngeren oder älteren Kolleg_innen zu reflektieren.
Die Methoden, die unter dem Begriff Generationenmanagement zum Einsatz kommen, sind überwiegend sinnvoll. Denn ein Zusammenkommen von Menschen mit unterschiedlichem Alter und digitalen Fähigkeiten, unterschiedlicher Perspektiven und Erfahrungen sowie unterschiedlichem Wissen ist, wenn ein wertschätzender und respektvoller Umgang gelebt wird, immer eine gewinnbringende Sache.
Zu nennen sind hier beispielsweise:
- Mentoring-Programme und Reverse-Mentoring-Programme,
- Workshops zur Stärkung des Miteinanders,
- Tandems zwischen Menschen verschiedener Hintergründe,
- Job Rotation und Job Shadowing für den Wissenstransfer,
- Flexible Arbeitszeitmodelle für alle Lebensphasen,
- Weiterbildung ohne Altersbeschränkung,
- Gesundheitsmanagement zum Erhalt der Leistungsfähigkeit,
- Diversity-Trainings zur Sensibilisierung für Altersvielfalt,
- Stärkung von Führungskräften in der Führung altersgemischter Teams,
- Mitarbeiterbefragungen zur Analyse der unterschiedlichen Bedürfnisse,
- Einbindung ehemaliger Mitarbeitender als Senior Experts.
Alle diese Maßnahmen sind begrüßenswert, da sie versuchen, die konkreten Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu erfassen und einen Austausch auf Augenhöhe vorsehen. Wir empfehlen, die Angebote möglichst generationsübergreifend zu gestalten und den Mitarbeitenden die Wahl zu lassen, was für sie am besten passt. Dabei ist es sinnvoll, neben den Generationen auch die Lebensphasen in den Blick zu nehmen. So kann Teilzeit nicht nur für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die kürzer treten wollen, ein geeignetes Modell sein, sondern auch für Menschen mit familiären Verpflichtungen oder für Menschen, die sich parallel weiterbilden wollen.
Das Ziel eines guten Generationenmanagements ist es, dass (insbesondere negative) Stereotype abgebaut werden und Jüngere und Ältere gerne und effektiv zusammenarbeiten. Dies reduziert die Gefahr, dass sich ältere Kolleg_innen abgeschoben fühlen und innerlich kündigen. Oder dass Jüngere sich nicht ausreichend wertgeschätzt fühlen und das Unternehmen in der Probezeit wieder verlassen. Das einbeziehende Miteinander im Sinne von Inclusion ist die Grundlage für Wissensaustausch – beispielsweise von neuen Methoden und Fachwissen aus der Ausbildung und Studium durch die Jüngeren und von Erfahrungen und Praxiswissen aus dem Berufsleben durch die Älteren. Der Wissensaustausch funktioniert also in beide Richtungen und sorgt nicht nur dafür, dass Wissen im Unternehmen bleibt, wenn die Älteren ausscheiden, sondern sich die gesamte Organisation weiterentwickelt.
Ein weiteres Ziel liegt auf der Hand: Durch die Zufriedenheit der langjährigen Mitarbeitenden (Retention) und über die externe Ansprache verschiedener Altersgruppen wird das Gewinnen von von Talenten wahrscheinlicher – unbezahlbar in den Zeiten von Arbeitskräftemangel. Und schließlich ist die Innovationsfähigkeit des Unternehmens zu nennen, das aus den unterschiedlichen Perspektiven der Mitarbeitenden schöpfen kann – nicht zuletzt, um Kundengruppen verschiedenen Alters anzusprechen.
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Quellen
Hensel, Tom (2023) Generation Y – Mythos-und-Realität. Eine empirische Untersuchung der Wertvorstellungen und Lebenslauferfahrungen im Kohortenvergleich. Dissertation, Technische Universität Braunschweig.
Schröder, Martin (2018): Der Generationenmythos. In: KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 70 (157–185).