Viele Arbeitgeber_innen haben inzwischen erkannt, dass Vielfalt mehr bedeutet als Geschlecht, Alter oder kulturelle Unterschiede. Doch eine Dimension bleibt oft im Schatten: die soziale Herkunft.
In Deutschland gilt leider noch immer: Der Weg nach oben ist für manche steiler als für andere. Wer aus einem Akademikerhaushalt stammt, hat bessere Karten – wer aus einem nicht-akademischen Elternhaus kommt, stößt schneller an unsichtbare Barrieren. Der Hochschulbildungsreport zeigt das deutlich:
- 45,9 % der Kinder von Akademiker_innen nehmen ein Studium auf.
- Bei Kindern von Eltern mit maximal Hauptschulabschluss sind es nur 8,8 %.
Damit entscheidet Herkunft in Deutschland stärker über Bildungschancen als in vielen anderen europäischen Ländern. Und das wirkt weit über die Hochschule hinaus – hinein in Unternehmen, Teams und Führungsetagen.
Was bedeutet soziale Herkunft eigentlich?
Wenn wir über soziale Herkunft sprechen, geht es nicht nur um „wo jemand herkommt“, sondern um ein komplexes Zusammenspiel von Faktoren, die die Startbedingungen im Leben prägen. Dazu zählen vor allem:
- Bildungsstand der Eltern – welchen und ob die Eltern einen Bildungsabschluss haben, beeinflusst maßgeblich, welche Erwartung und Gewohnheiten sie an ihre Kinder weitergeben – was durch das deutsche Bildungssystem noch verstärkt wird.
- Erwerbstätigkeit – die Art und Stabilität der Jobs im Elternhaus formen Lebensstil und Zugänge zu zukünftigen Tätigkeiten.
- Vermögen – finanzielle Sicherheit entscheidet darüber, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, z. B. private Nachhilfe, teure Sprachkurse oder ein Sabbatical.
- Soziale Klasse und Milieu – Netzwerke, kulturelles Kapital und Habitus wirken subtil, aber stark auf Lebensverläufe.
Kategorien wie das Geschlecht, der Migrationshintergrund oder eine Behinderung sind weitere Faktoren, welche die soziale Herkunft beeinflussen. So sind zum Beispiel Frauen, vor allem jene mit Migrationshintergrund, Frauen of Color und Frauen mit Behinderung besonders gefährdet, sozial benachteiligt zu werden.
Oft wird in Deutschland von einer „Meritokratie“ gesprochen – also der Idee, dass jede_r es mit ausreichend Fleiß, Intelligenz und Motivation schaffen kann. Doch das ist ein Mythos. Denn in Wirklichkeit starten Menschen nicht mit den gleichen Chancen: Strukturelle, systemische und historische Ungleichheiten bestimmen stark mit, wer aufsteigt – und wer draußen bleibt.
Was sind die Barrieren?
Es sind keine sichtbaren Mauern, sondern leise, unscheinbare Hürden, die den Weg erschweren:
1. Fehlende Zugänge und ungleiche Startbedingungen
Die soziale Klasse entscheidet über Zugang zu Ressourcen wie etwa Netzwerke, Bildung und gesellschaftliche Macht. Wer finanziell weniger Rückhalt hat, kann sich unbezahlte Praktika, längere Studienzeiten oder aufwändige Weiterbildung oft nicht leisten. Im späteren Berufsleben fehlt dadurch ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, ebenso wie die richtigen Kontakte oder Unterstützer beim Erwerbseintritt oder dem nächsten Karriereschritt.
2. Stallgeruch
In Meetings nicht wissen, welcher Dresscode erwartet wird, oder beim Smalltalk über erlesene Weine nicht mitreden können oder Hobbies, welche die Klassenzugehörigkeit verraten: All dies macht den Stallgeruch aus, den sozialen Habitus. Kinder aus bürgerlichem Hintergrund lernen solche Codes nebenbei im Elternhaus und nutzen diese später als Grundlage für ihre beruflichen Netzwerke. Andere bleiben schnell außen vor – was die Zugänge weiter verschlechtert.
3. Selbstzweifel & Impostor-Syndrom
Viele First-Generation-Professionals, also Menschen, die als Erste in ihrer Familie studiert haben, tragen den Gedanken: „Gehöre ich hier wirklich hin? Sicher fliegt es gleich auf, dass ich mich hier eingeschlichen habe.“ Dieser innere Zweifel wird zum Dauerbegleiter und nagt am Selbstbewusstsein – auch wenn sie objektiv erfolgreich sind.
Diese Faktoren führen dazu, dass Talente ungenutzt bleiben. Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel können Unternehmen es sich nicht leisten, Potenziale aufgrund unsichtbarer Hürden zu verschenken.
Was ist das Resultat?
Vielfalt ist für die Deutsche Bahn weit mehr als ein Schlagwort – sie ist Teil der DNA des Unternehmens und unabhängig von äußeren Rahmenbedingungen fest in der Kultur etabliert. Damit wird klar, dass es sich nicht um ein kurzfristiges Programm handelt, sondern um eine langfristige Haltung.
Die DB bezieht zudem eindeutige Stellung für Demokratie und gegen Extremismus und macht unmissverständlich deutlich, dass Hass und Hetze in diesem Konzern keinen Platz haben. Gleichzeitig steigert das klare Bekenntnis zu Vielfalt und Respekt die Attraktivität als Arbeitgeberin.
Bewerbende fühlen sich von den Werten der DB angesprochen, was sowohl die Gewinnung neuer Talente als auch die Bindung von Mitarbeitenden stärkt.
Über den unternehmerischen Nutzen hinaus setzt die Bahn ein starkes Signal in die Gesellschaft: Große Unternehmen tragen Verantwortung, Demokratie und ein respektvolles Miteinander aktiv zu schützen und zu fördern – und die DB nimmt diese Aufgabe sichtbar und engagiert wahr.
Wie können Arbeitgeber Barrieren abbauen?
Organisationen haben es in der Hand, Barrieren abzubauen und soziale Herkunft mitzudenken. Das Ziel ist dabei nicht Chancengleichheit, sondern Chancengerechtigkeit – diese braucht bewusstes Handeln.
Was auf Organisationsebene zu tun ist
Es braucht ein systematisches Vorgehen, um im System inhärente Barrieren zu identifizieren und abzubauen. So sollte Human Resources und Diversity-Abteilung auf folgendes achten:
1. Transparente Karrierewege gestalten: Nicht alle Mitarbeitenden wissen, welche Schritte nötig sind, um beruflich voranzukommen. Klare Kommunikation und transparente Beförderungskriterien helfen, Unsicherheit abzubauen.
2. Mentoring- und Sponsoringprogramme anbieten: Gerade für First-Generation-Professionals ist der Zugang zu Netzwerken entscheidend. Mentor_innen können nicht nur Wissen teilen, sondern auch Türen öffnen. Sponsoring – also aktives Empfehlen von Talenten in Auswahlrunden – verstärkt diesen Effekt.
3. Faire Bewertungssysteme etablieren: Soft Skills und Souveränität dürfen nicht überbewertet werden. Wer selbstbewusster auftritt, ist nicht automatisch kompetenter. Wichtig ist zudem, dass bei Einstellungen auf Eignung und Erfahrung geachtet wird – ein Probearbeitstag kann ein Zeugnis ersetzen.
4. Finanzielle Unterstützung & Weiterbildung vorsehen: Ob Stipendien, Fortbildungen oder Unterstützung bei Care-Verpflichtungen – Unternehmen können dafür sorgen, dass Weiterbildung nicht am Geldbeutel scheitert.
Was Führungskräfte tun können
Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle. Sie sind diejenigen, die Zugehörigkeit in ihrem Team entwickeln und Talente fördern. Folgende Ansätze sind besonders wirksam:
1. Selbstoffenbarung & Privilegien benennen: Wenn Führungskräfte offen über ihre eigene Herkunft sprechen – und auch ihre Vorteile anerkennen – schaffen sie Vertrauen und brechend das Eis, über das Elternhaus und soziale Möglichkeiten reden zu können.
2. Aktiv zuhören & Feedback einholen: Mitarbeitende geben manchmal subtil Hinweise auf ihren Bedarf und ihren Background. In diesen Momenten heißt es für die Führungskraft, achtsam zu sein. Sie kann aktiv nach Feedback fragen, um gezielt reagieren zu können.
3. Perspektivwechsel üben: Sich zu fragen: Welche Hürden sehe ich nicht, weil ich sie selbst nie erleben musste? Das kann den Blick auf Ungleichheiten schärfen – und dafür sorgen, dass Meetings, Events oder Karrierepfade inklusiver gestaltet werden.
4. Fördern durch Feedback & Ermutigung: Gerade Menschen aus einfacheren Verhältnissen fehlt oft die innere Bestätigung. Anerkennung, Lob und klares Feedback wirken hier besonders stark – und können Karrieren entscheidend voranbringen.
5. Netzwerke teilen & Ressourcen öffnen: Ein Kontakt, eine Empfehlung, eine Einladung in ein Projekt – kleine Gesten, die Türen öffnen. Führungskräfte haben oft genau die Schlüssel, die andere dringend brauchen.
Erfahrungsbericht „Es war ein harter Weg.“
Eine junge Führungskraft in einem Wissenschaftsbetrieb erzählte mir kürzlich: „Als Erste in meiner Familie mit Promotion fühlte ich mich lange wie eine Hochstaplerin. Meine Eltern, die ein Gasthaus führen, haben nie verstanden, warum ich die wissenschaftliche Laufbahn eingeschlagen habe, und es auch nicht gutgeheißen – im Grunde hatten sie Angst, mich zu verlieren. Im beruflichen Kontext habe ich meine Herkunft lange verschwiegen, da ich den Eindruck hatte, im Team würde man dann auf mich herabschauen. Es hat lange gedauert, bis ich genug Selbstbewusstsein entwickelt habe und nun als Führungskraft andere darin unterstütze, denen es ähnlich geht.“ Diese Person hat es aus eigenem Antrieb geschafft – doch andere scheitern: Nur eines von 100 Arbeiterkindern erreicht eine Promotion (aus Akademikerhaushalten schaffen es 10).
Warum jetzt handeln?
Der Arbeitsmarkt verändert sich rapide. Fachkräftemangel und Generationenwandel setzen Unternehmen unter Druck. Wer soziale Herkunft als Diversity-Dimension ernst nimmt, profitiert gleich mehrfach:
- Mehr Motivation: Mitarbeitende fühlen sich gesehen und bringen ihre ganze Energie ein.
- Mehr Vielfalt: Unterschiedliche Perspektiven führen zu kreativeren Lösungen.
- Mehr Innovationskraft: Teams mit diversen Erfahrungen entwickeln bessere Ergebnisse.
- Mehr Talente: Arbeitgeber, die Barrieren abbauen, werden attraktiver – für alle Fachkräfte.
Soziale Herkunft ist kein Randthema. Sie entscheidet mit über Chancen, Zugehörigkeit und Karrierewege. Wenn Organisationen und Führungskräfte gemeinsam handeln, werden unsichtbare Hürden zu Sprungbrettern – für Mitarbeitende und für das Unternehmen.
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